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1979 war ein unruhiges Jahr im Baskenland. Gut drei Jahre nach dem Tod des Diktators Franco hofften die Bewohner der drei nordöstlichsten spanischen Provinzen zwar nach wie vor auf mehr Selbstbestimmung: ein baskisches Parlament, Kulturhoheit – das gehörte zu den Versprechen der jungen zweiten spanischen Demokratie. Aber: die Verhandlungen verliefen zäh. Mehr Freiheiten für die Regionen bedeutete eine Abwendung von der Doktrin des "vereinten Vaterlandes". Was würden andere Region sagen, zum Beispiel die Katalanen? Wo würde Spanien enden? Immerhin: ‚vorläufig autonom’ waren die eigenwilligen Basken, die ihre Staatlichkeit aus mittelalterlichen Legenden von ‚Euskadi’ ableiten und die älteste Sprache Europas pflegen, bereits seit Jahresende 1977. Ein Schwebezustand, ungewiss, rückholbar, wenn die Lage eskalieren sollte. Und das fürchteten viele, als im Januar 1979 der Militärgouverneur von Madrid vor seiner Wohnung im Kugelhagel eines Terrorkommandos der baskischen Separatisten-Organisation ETA starb und praktisch dreimal pro Woche politische Morde an Polizisten und Beamten aus dem Baskenland gemeldet wurden. Doch der Effekt der Terrorkampagne war ein anderer als von der ETA voraus¬gesehen: Frankreich, jahrzehntelang Rückzugsraum der ETA, begann mit der Regierung des Christdemokraten Adolfo Suarez in Madrid zusammenzuarbeiten.
 
Im Februar 1979 nahmen französische ‚Flics’ über 20 ETA-Leute im französischen Baskenland fest und schoben sie nach Spanien ab. Die Wut bei den baskischen Nationalisten stieg: man rief einen Generalstreik in der Region aus, schoss dem französischen Generaldirektor eines Reifenwerks im Baskenland bei einem Entführungsversuch ins Bein, obskure Gruppen verübten Attentate auf Schulen und Banken im Nachbarland. Und das war nur der Auftakt: im Frühsommer 79 ließ die ETA in Touristen-Orten an der spanischen Mittelmeerküste Sprengsätze hochgehen. Der Fremdenverkehr – und damit die wichtigste Devisen-Quelle Spaniens – schien gefährdet. Zu diesem Zeitpunkt berieten erst Unterausschüsse des spanischen Parlaments über eine baskische Autonomie. Die meisten Insider des politischen Geschäfts in Spanien rechneten mit langen Palavern.
 
Doch es kam anders: bereits am 18.Juli einigte sich eine Delegation gemäßigter baskischer Nationalisten mit der Regierung Suarez auf einen Kompromiss, der mit Rücksicht auf das historische Zentrum des Baskenlands „Autonomiestatut von Guernica“ getauft wurde. In Bilbao, der größten baskischen Stadt spielten sich auf den Plätzen Freudenszenen ab wie nach einem gewonnenen Fußballfinale. Die Basken sollten eine eigene Polizei, eigene Steuerrechte, eigene Finanz- und Wirtschaftskompetenzen und eine Gleichberechtigung der baskischen Sprache als Amtssprache neben dem Spanischen bekommen.
 
Der ETA aber war das Erreichte zu wenig. Um ihre Ziele zu erreichen, schickte sie weitere Terrorkommandos los: noch im Juli starben bei Explosionen auf zwei Bahnhöfen und auf dem Flughafen der Hauptstadt sechs Menschen, darunter eine deutsche Touristin. Das ging selbst vielen Sympathisanten der baskischen Sache zu weit. Als Ende Oktober 1979 eine Volksabstimmung über das Autonomiestatut abgehalten wurde, triumphierten dessen Befürworter. Doch gab sich die ETA noch nicht geschlagen: im November entführte sie Javier Rupérez, einen engen politischen Freund von Premier Suarez. Vier Wochen lang suchte die Polizei vergeblich nach dem Christdemokraten, bis dieser am 13.Dezember abends, müde, hungrig, aber wohlbehalten, an einem Kilometerstein der Landstrasse von Madrid nach Burgos frei kam. Sie hätten keine der Forderungen der ETA erfüllt, kommentierten die Madrider Behörden das glückliche Ende der Entführung - weder seien verurteilte Terroristen aus der Haft entlassen worden noch bekämen die Basken weitere Selbstbestimmungsrechte.
 
Doch hatte der Fall Ruperez abermals die Eilbedürftigkeit der baskischen Autonomie gezeigt. So kam es, dass König Juan Carlos am 18.Dezember 1979 das "Selbstbestimmungsstatut von Guérnica" unterzeichnete. Die meisten Spanier – und Basken – sehen es bis heute als Erfolg. Doch demonstriert die anhaltende Terrorkampagne der ETA leider auch: Politik hat Grenzen. Mit Betonköpfen ist kein Verhandeln. Daher hören wir aus dem Baskenland immer wieder Meldungen von Terror und Mord. Denn einige Separatisten träumen immer noch von einem ganz souveränen "Euskadi".
 
Autor: Rainer Volk
 
http://www.br-online.de/wissen-bildung/kalenderblatt/2008/12/kb20081218.html

Version vom 23. Dezember 2008, 08:16 Uhr

1979 18. Dezember

König Juan Carlos unterschreibt baskisches Autonomiestatut

1979 war ein unruhiges Jahr im Baskenland. Gut drei Jahre nach dem Tod des Diktators Franco hofften die Bewohner der drei nordöstlichsten spanischen Provinzen zwar nach wie vor auf mehr Selbstbestimmung: ein baskisches Parlament, Kulturhoheit – das gehörte zu den Versprechen der jungen zweiten spanischen Demokratie. Aber: die Verhandlungen verliefen zäh. Mehr Freiheiten für die Regionen bedeutete eine Abwendung von der Doktrin des "vereinten Vaterlandes". Was würden andere Region sagen, zum Beispiel die Katalanen? Wo würde Spanien enden? Immerhin: ‚vorläufig autonom’ waren die eigenwilligen Basken, die ihre Staatlichkeit aus mittelalterlichen Legenden von ‚Euskadi’ ableiten und die älteste Sprache Europas pflegen, bereits seit Jahresende 1977. Ein Schwebezustand, ungewiss, rückholbar, wenn die Lage eskalieren sollte. Und das fürchteten viele, als im Januar 1979 der Militärgouverneur von Madrid vor seiner Wohnung im Kugelhagel eines Terrorkommandos der baskischen Separatisten-Organisation ETA starb und praktisch dreimal pro Woche politische Morde an Polizisten und Beamten aus dem Baskenland gemeldet wurden. Doch der Effekt der Terrorkampagne war ein anderer als von der ETA voraus¬gesehen: Frankreich, jahrzehntelang Rückzugsraum der ETA, begann mit der Regierung des Christdemokraten Adolfo Suarez in Madrid zusammenzuarbeiten.

Im Februar 1979 nahmen französische ‚Flics’ über 20 ETA-Leute im französischen Baskenland fest und schoben sie nach Spanien ab. Die Wut bei den baskischen Nationalisten stieg: man rief einen Generalstreik in der Region aus, schoss dem französischen Generaldirektor eines Reifenwerks im Baskenland bei einem Entführungsversuch ins Bein, obskure Gruppen verübten Attentate auf Schulen und Banken im Nachbarland. Und das war nur der Auftakt: im Frühsommer 79 ließ die ETA in Touristen-Orten an der spanischen Mittelmeerküste Sprengsätze hochgehen. Der Fremdenverkehr – und damit die wichtigste Devisen-Quelle Spaniens – schien gefährdet. Zu diesem Zeitpunkt berieten erst Unterausschüsse des spanischen Parlaments über eine baskische Autonomie. Die meisten Insider des politischen Geschäfts in Spanien rechneten mit langen Palavern.

Doch es kam anders: bereits am 18.Juli einigte sich eine Delegation gemäßigter baskischer Nationalisten mit der Regierung Suarez auf einen Kompromiss, der mit Rücksicht auf das historische Zentrum des Baskenlands „Autonomiestatut von Guernica“ getauft wurde. In Bilbao, der größten baskischen Stadt spielten sich auf den Plätzen Freudenszenen ab wie nach einem gewonnenen Fußballfinale. Die Basken sollten eine eigene Polizei, eigene Steuerrechte, eigene Finanz- und Wirtschaftskompetenzen und eine Gleichberechtigung der baskischen Sprache als Amtssprache neben dem Spanischen bekommen.

Der ETA aber war das Erreichte zu wenig. Um ihre Ziele zu erreichen, schickte sie weitere Terrorkommandos los: noch im Juli starben bei Explosionen auf zwei Bahnhöfen und auf dem Flughafen der Hauptstadt sechs Menschen, darunter eine deutsche Touristin. Das ging selbst vielen Sympathisanten der baskischen Sache zu weit. Als Ende Oktober 1979 eine Volksabstimmung über das Autonomiestatut abgehalten wurde, triumphierten dessen Befürworter. Doch gab sich die ETA noch nicht geschlagen: im November entführte sie Javier Rupérez, einen engen politischen Freund von Premier Suarez. Vier Wochen lang suchte die Polizei vergeblich nach dem Christdemokraten, bis dieser am 13.Dezember abends, müde, hungrig, aber wohlbehalten, an einem Kilometerstein der Landstrasse von Madrid nach Burgos frei kam. Sie hätten keine der Forderungen der ETA erfüllt, kommentierten die Madrider Behörden das glückliche Ende der Entführung - weder seien verurteilte Terroristen aus der Haft entlassen worden noch bekämen die Basken weitere Selbstbestimmungsrechte.

Doch hatte der Fall Ruperez abermals die Eilbedürftigkeit der baskischen Autonomie gezeigt. So kam es, dass König Juan Carlos am 18.Dezember 1979 das "Selbstbestimmungsstatut von Guérnica" unterzeichnete. Die meisten Spanier – und Basken – sehen es bis heute als Erfolg. Doch demonstriert die anhaltende Terrorkampagne der ETA leider auch: Politik hat Grenzen. Mit Betonköpfen ist kein Verhandeln. Daher hören wir aus dem Baskenland immer wieder Meldungen von Terror und Mord. Denn einige Separatisten träumen immer noch von einem ganz souveränen "Euskadi".

Autor: Rainer Volk

http://www.br-online.de/wissen-bildung/kalenderblatt/2008/12/kb20081218.html